Dieses furchtbare Geheimnis enthüllte die Trockenlegung der Niagarafälle

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Die Niagarafälle sind die stärksten Wasserfälle Nordamerikas und das Bindeglied zwischen der kanadischen Provinz Ontario und dem US-Bundesstaat New York. Rund 168.000 Kubikmeter Wasser stürzen pro Minute an der Krone der Felsformation herunter.

Entstanden war das beeindruckende Naturschauspiel vor 12.000 Jahren am Ende der letzten Eiszeit. Gewaltige Mengen Schmelzwasser flossen vom Eriesee über das Land und passierten die Niagara-Schichstufe, um sich schließlich im Ontariosee zu ergießen.

Seit Jahrhunderten setzen sich Geologen für die Erhaltung des Naturwunders ein. Eines dieser Projekte resultierte 1969 in der Trockenlegung der Wasserfälle. Was die Wissenschaftler am freigelegten Boden der Niagarafälle fanden, ist auch Jahrzehnte später nur schwer zu verarbeiten.

1. Die Entdeckung

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Die Irokesen, ein Völkerbund nordamerikanischer Ureinwohner, waren die ersten Menschen, die auf die Niagarafälle stießen. Von ihrer Stadt „Onguiaahra“ leitete sich der Name der Wasserfälle ab.

Der französische Entdecker Samuel de Champlain besucht die Region im Jahr 1604 und gilt als erster Europäer, der die Niagarafälle zu Gesicht bekam. Er hielt ihre Schönheit in seinem Reisebericht fest. Der belgische Missionar Louis Hennepin folgte ihm rund 70 Jahre später und machte den Ort durch seine detaillierten Aufzeichnungen in Europa bekannt.

Anfang des 18. Jahrhunderts begab sich Pehr Kalm, ein schwedischer Naturforscher, auf den Weg nach Nordamerika. Auf ihn geht die erste wissenschaftliche Dokumentation der Niagarafälle zurück.

2. Ein gewaltiges Kraftwerk

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Im 19. Jahrhundert begann in Nordamerika die Industrialisierung. Wissenschaftler suchten 1895 nach Möglichkeiten, die aufstrebenden Produktionsbetriebe mit Strom zu versorgen.

Die Niagarafälle boten die perfekte Quelle für Wasserkraft. Forscher stellten einen Generator auf und führten Feldversuche durch. In diesen ersten Tests konnten sie die Kraft der Wasserfälle erfolgreich zur Stromgewinnung nutzen. Bei der Betrachtung der Reichweite machten die Wissenschaftler eine ernüchternde Entdeckung. Die Energie konnte maximal 90 Meter transportiert werden und das Projekt geriet ins Stocken.

Ein Jahr später löste Nikola Tesla das Problem, indem er den Wechselstrom erfand. Distanzen von mehr als 30 Kilometern waren fortan keine Hürde mehr für den erzeugten Strom.

3. Ein attraktiver Standort

Das Wasserkraftwerk an den Niagarafällen war das größte seiner Zeit. Die Neuigkeit über die imposante Innovation verbreitete sich rasant. Siedler zogen in das umliegende Gebiet und Unternehmen verlegten ihre Fabriken an das Ufer der Wasserfälle.

Die ansässigen Betriebe errichteten ihre eigenen wasserbetriebenen Kraftwerke auf ihrem Grundstück. Um sie zu betreiben, speisten sie Wasser vom Niagara River ab. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stieg die Anzahl der abgezweigten Wassermenge so stark an, dass Naturschützer eine Beeinträchtigung der Niagarafälle befürchteten. Die Unternehmer widersprachen und führten an, dass ihr Wasserverbrauch die Klippen der Wasserfälle vor Erosion schütze.

Wie konnte der Wirtschaftsstandort an den Niagarafällen nachhaltig genutzt werden?

4. Verhandlungen zur Erhaltung

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Die Niagarafälle setzen sich aus drei Wasserfällen zusammen. Die American Falls und die Bridal Veil Falls befinden sich auf US-amerikanischem Territorium.

Die Horseshoe Falls umspannen die Grenze zwischen den USA und Kanada. Entscheidungen über die Nutzung und Erhaltung mussten die zwei Länder einstimmig treffen. Anwohner, Unternehmer und Naturschützer verlangten den Regierungen eine Entscheidung über die Wasserentnahme für privat betriebene Kraftwerke ab.

Im Jahr 1950 unterzeichneten die USA und Kanada ein Abkommen. Es besagt, dass die Unternehmen an den Niagarafällen nachts und im Winter 75% des Wassers zur eigenen Nutzung umleiten dürfen. Am Tag und in der Hochsaison des Tourismus verringert sich die erlaubte Menge auf 50%.

5. Das Jahr 1965

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Die Vertragsunterzeichnung zur Erhaltung der Niagarafälle war ein erster Schritt in Richtung nachhaltige Nutzung des Naturwunders. 1965 hatten Anwohner auf der amerikanischen Seite der Wasserfälle erneut Anlass zur Sorge.

Sie entdeckten Geröll unterhalb der American Falls. Durch den Schutt konnte das hinabstürzende Wasser nicht in einem Guss auf das darunter liegende Bett treffen. Die Anwohner von Niagara Falls waren der Meinung, dass dies die Schönheit des Wasserfalls schmälerte.

Der Lokaljournalist Cliff Spieler machte in seinem Artikel für die Niagara Falls Gazette auf den Makel aufmerksam. Darüber hinaus verwies er auf eine andere, viel bedrohlichere Entwicklung, die das Ende der American Falls zur Folge haben könnte.

6. Gefährliche Erosion

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Spieler skizzierte ein furchtbares Szenario in seinem Artikel. Laut ihm könnten, ausgelöst von der Erosion, die Klippen der American Falls in naher Zukunft in sich zusammen fallen.

Geologen unterstützten die Theorie des Journalisten, denn Messungen bewiesen einen Rückgang der Niagarafälle in Richtung Eriesee um elf Kilometer seit ihrer Entstehung und rund 1,8 Metern pro Jahr.

Als Ursache benannten die Wissenschaftler die besondere Zusammensetzung des Gesteins an den American Falls. Es besteht aus einer harten Dolomitschicht, unter der sich Schiefergestein befindet. Die gigantischen Wassermassen, die minütlich über die Klippen fließen, tragen die weiche Schieferschicht ab. Die robuste Schicht aus Dolomit verliert den Halt und bricht.

7. Ein erster Versuch

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Die Untersuchung des stärksten Wasserfalls Nordamerikas bedurfte einer genauen Planung. Die zuständigen Regierungsstellen der USA und Kanadas entschieden sich, Schritt für Schritt vorzugehen.

Zunächst sollte das Geröll am oberen Ende des Wasserfalls entfernt werden. Um eine sichere Begehung zu ermöglichen, schalteten die Arbeiter die Wasserkontrollstation oberhalb des Niagara Rivers auf höchste Stufe. Darüber hinaus wurde die Kapazität der umliegenden Wasserkraftwerke ausgelastet. Die Maßnahmen verringerten die Wassermenge, die pro Sekunde über die Klippen der American Falls fließt, um 75% auf rund 57.000 Liter pro Minute.

Während die Arbeiter das Geröll entfernten, begutachteten Ingenieure des U.S. Army Corps of Engineers (USACE) das Bett des Wasserfalls.

8. Ein gewagter Plan

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Das Team des USACE dokumentierte den Zustand des Wasserfalls. Fotos der Gesteinswand und des umliegenden Areals ergänzten die schriftlichen Aufzeichnungen. Nach sechs Stunden beendeten sie ihre Arbeit und stellten den Wasserfluss auf die normale Menge zurück.

Es dauerte zwei Jahre bis die erhobenen Daten ausgewertet waren. Für die entwickelten Gegenmaßnahmen reichte die Reduzierung der Wassermenge an den American Falls nicht aus. Die Ingenieure nannten die Trockenlegung des Wasserfalls als einzige Möglichkeit, die Gesteinswand vor Erosion zu schützen. Infolgedessen empfahlen Experten die Errichtung eines Kofferdamms. Anwohner, Beobachter und Naturschützer blieben skeptisch.

Würde das ambitionierte Projekt die American Falls dauerhaft retten können?

9. Eine Herkulesaufgabe

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Das Unternehmen Albert Elia Construction übernahm den Bau der provisorischen Barriere. Um den Fluss der American Falls mit dem Kofferdamm erfolgreich aufhalten zu können, passten die beauftragten Ingenieure den Aufbau des Damms an die Situation an.

Am 09. Juni 1969 begann der Bau. Angesichts der gewaltigen Kraft des Wassers war die Arbeit gefährlich. Um die Mitarbeiter im Falle eines Sturzes vor dem sicheren Tod zu bewahren, spannten die Bauleiter eine Rettungsleine zwischen Goat Island und dem Festland. Erstaunlicherweise verliefen die Arbeiten unfallfrei.

In drei Tagen wurden mehr als 28.000 Tonnen Schutt im oberen Bereich der Stromschnelle abgeladen. Nach mehr als 1.200 LKW-Ladungen war der Wasserfluss vorübergehend gestoppt.

10. Die Verstärkung der Felswände

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Die Arbeiter befreiten die Klippen von losen Brocken und integrierten ein Sprinkler-System, das dem Gestein Feuchtigkeit zuführen sollte. Darüber hinaus stabilisierten sie die Felswände mit Beton und Bolzen.

Wie von der lokalen Hotellerie befürchtet, verursachte die Trockenlegung des Wasserfalls einen Rückgang der Besucherzahlen. Ein paar Neugierige reisten trotz der Baustelle an und wurden mit einem einzigartigen Anblick belohnt. Die American Falls lagen zum ersten Mal seit 12.000 Jahren frei. In den Jahrzehnten zuvor warfen hoffnungsvolle Touristen Goldmünzen in den Wasserfall, die den Boden im Sonnenschein glitzern ließen.

Die Euphorie der Besucher schwang in Bestürzung um, als das trockene Flussbett etwas Schreckliches zum Vorschein brachte.

11. Ein grausamer Fund

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Beobachter hatten einen Tag zuvor einen grün gekleideten Mann in den oberen Teil des Wasserfalls springen sehen. Was zunächst wie eine planmäßige Aktion eines Baustellenmitarbeiters wirkte, entpuppte sich schnell als tödlicher Sprung eines Touristen.

Es war nicht das erste Mal, dass Besucher ihren Leichtsinn mit dem Tod bezahlten. Geologen entschieden sich gegen die Entfernung des, von Anwohnern als Schönheitsfehler bezeichneten, Gerölls am Bett des Wasserfalls. Es sollte der Gesteinswand als Stütze dienen. Personen, die in den Strom gerieten, stürzten an den American Falls daher nicht ins Wasser, sondern trafen auf harten Stein auf.

Bei der Bergung des Toten stießen die Rettungskräfte auf einen weiteren makaberen Fund.

12. Ein trauriges Ende

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Die Leiche des Mannes war für die Bergung bereit, als die Arbeiter auf den toten Körper einer jungen Frau stießen. Der stark verweste Zustand der Leiche gab Grund zur Annahme, dass sie sich wesentlich länger im Wasser befand. Die einzig erkennbaren Merkmale an ihr waren ihre rot-weiß gestreifte Kleidung und ein Ehering an ihrem Finger.

Wer die Toten waren und was sie zum Sprung in den Wasserfall bewegte, konnte nie geklärt werden. Ein Umstand, der durch die Inschrift „Vergiss mich nicht“ im Ehering der jungen Frau an Tragik gewann.

Den Arbeitern blieb keine Zeit zur Trauer, denn ihre Aufgabe war noch nicht erfüllt.

13. Das Vermächtnis

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Im November 1969, nach sechs Monaten, war die Arbeit erfolgreich fertiggestellt. Die Bauleiter sprengten den provisorischen Damm mit Dynamit und die Wassermassen ergossen sich erneut über die Klippen. Der tragische Fund der zwei Toten stärkte die Ehrfurcht der Anwohner und Besucher der Niagarafälle und ist ein Zeugnis für die beeindruckende und tückische Kraft des Wassers.

Die Stabilisierung der American Falls war ein riskantes und wichtiges Projekt. Die Erosion an den Felswänden konnte gemindert und das Naturwunder für die kommenden Generationen erhalten werden.

Heute sind die Niagarafälle Touristenattraktion, Stromquelle und Naturschauspiel zugleich. Ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie Mensch und Natur nachhaltig im Einklang miteinander leben können.

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